Ihr macht mir Angst

Ihr macht mir Angst.

Ihr drapiert eure Häuser mit Bettlakengroßen Deutschlandfahnen

Ihr blockiert stundenlang die Kreuzung und lauft unkontrolliert auf der Hauptstrasse herum

Ihr tyrannisiert eure Umgebung mit unerträglichem Lärm und stundenlangem Gehupe.

Und das alles, weil 11 sportliche Jungs das machen, wofür sie exorbitant gut bezahlt werden? Sie gewinnen ein Vorrundenspiel. Hallo Vorrunde, meine Güte.

Ich bin eben durch einen vollkommen entfesselten Pulk von Menschen gefahren, die  außer Rand und Band waren. Anscheinend durch den Sieg der deutschen Mannschaft unverwundbar geworden, denn wie sonst ließe es sich erklären, dass etliche mitten auf der Hauptstrasse herumgelaufen sind. Mitten auf der Kreuzung parkt ein Auto mit geöffnetem Kofferraum in dem eine riesige Musikanlage die Kreuzung beschallt. Das nebenan mit Blaulicht parkende Polizeifahrzeug scheint nicht zum räumen gekommen zu sein, sondern zum Schutz.

Soll das jetzt nach jedem gewonnenen Spiel so sein? Wie lässt sich das noch steigern wenn wir ins Halbfinale kommen oder gar ins Finale. Für mich seit dem Erlebnis eben auf der Kreuzung eher eine Horror- als eine Wunschvorstellung.

Warum ich „ihr“ schreibe? Weil ich das Gefühl habe, dass es kaum noch jemand gibt, der sich von dieser Hysterie nicht anstecken lässt. Und sorry ich verstehe es nicht. Ich verstehe, dass man gewisse Sportereignisse toll finden kann. Auch dass man während des Spiels fiebert und sich riesig freut. Aber diese alles okkupierende Massenhysterie, die verstehe ich nicht.

Nachtrag 1: Gerade auf Twitter gefunden, das passt so klasse: Tweet ist leider beim Blogumzug verschwunden….

Nachtrag 2: Public Viewing – Die Fußball-WM als religiöses Fest

Nachtrag 3: Nach dem Spiel gegen Ghana liess sich der Terror noch steigern .

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19 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Danke Alexandra das beruhigt. Und auf Facebook gab es noch eine weitere Zustimmung. Dann fühle ich mich jetzt nicht mehr ganz so einsam 🙂

  2. Tja, so ist das, wenn in Deutschland König Fußball regiert. Dann wohnst Du plötzlich in Südwestschland, private Straßensperren sind gerngesehene Festivitäten in die sich der sogenannte grünweiße Partybus gerne einreiht. Das Krankenwagen und Feuerwehr da nicht durchkommen ist nicht weiter schlimm – es ist ja WM. Wo Hupen innerorts sonst zu saftigen Strafen führt und die Nachbarn entzürnt gehört das momentan zum guten Ton.

    Machs wie ich. Nutz die Spielzeit zum Einkaufen oder irgendwo hin fahren, und die Hupzeit um was zu arbeiten. Gerade beim Halbfinale oder Finale ist der Supermarkt eine wahre Oase der Ruhe und auch eine kleine Motorradtour über die leeren Landstraßen ist ein wahrer Genuss.

    Sieh mal lieber die Möglichkeiten.

  3. Ich bin ein echt großer Fußball-Fan und echt Patriot, glaub mal – aber diese Theater eben hab ich auch nicht verstanden. Es ist das erste Spiel, dazu gegen den mit Abstand schwächsten Gegner in unserer Gruppe. Alles andere als ein souveräner Sieg wäre ein absolute Enttäuschung gewesen. Von daher ist das Ganze schon überzogen. Ich möchte auch wetten, dass die wirklichen Fußball-Fans ruhiger sind und die hupenden und über die Straßen tanzenden Besoffenen sind vermutlich genau die, die sonst auch zu ner Loveparade gehen. Dort mögen sie die Musik zwar nicht, aber immerhin sind die Mädchen halbnackt und man wird nicht blöd angeschaut, wenn man nachmittags schon besoffen durch die Stadt wackelt…

  4. Danke @Martin für den Kommentar. Als ich anfing zu schreiben hatte ich Lena auch noch drin, habe dann aber die Kurve nicht mehr bekommen. Bei ihr ging es mir schon genauso. Ich konnte gut verstehen, dass man sich freut, fand Mädel und Lied Klasse, aber den Hype den habe ich nicht verstanden.
    Es gibt in der tat viele Dinge und Angelegenheiten für die man z.Zt. Engagement und Energie aufbringen sollte.

  5. @casi das ist eine echt gute Erklärung. Stimmt, die , die das ganze Jahr Fußball begeistert sind, sind wohl nicht unbedingt identisch mit denen, die jetzt so ausflippen

  6. @Hannes danke für den treffenden Kommentar. Genau das hatten wir gemacht. Ich hatte gearbeitet und Sohnemann war ins Kino. Leider musste ich ihn genau zu dem Zeitpunkt abholen als draußen die Hölle losbrach. Beim nächsten Spiel bin ich gewarnt und werde vorsorgen 🙂

  7. An anderer Stelle hatte ich schon befürchtet: „Den Leuten muss es in der Gesamtheit ganz schön besch…eiden gehen, dass sie selbst solche Gelegenheiten nutzen, um derart auf den Putz zu hauen…“
    Und zur Erklärung weiter: „Mein Pessimismus stammt in diesem Fall aus persönlicher Erfahrung und dem Blick auf die Geschichte (gespannte wirtschaftliche Situation, Arbeitslosigkeit, Unzufriedenheit mit der Politik etc.) Ich betrachte daher solche „Auswüchse“ mit etwas distanzierter Sorge…“

  8. ja nu, es ist halt das größte sportevent der welt, bei dem sich auf grund der großen medialen beachtung und der verankerung des fußballs in der bevölkerung ein gemeinschaftsgefühl entwickelt.

    Besonders schön finde ich es schon, dass es da sehr friedliche verbrüderungen auf unseren straßen gibt, wenn man sich etwa die türkischen oder italienischen fans auf den public-viewing plätzen anguckt.

    gut, man muss nicht nach jedem spiel ausflippen, aber sich freuen is schon ok.

    warum gerade bei fußball diese form der öffentlichen begeisterung so ausgeprägt ist? ich weiss es nicht. vielelicht weil alle fußballfans am ende irgendwo romantiker sind 🙂

    wie sagte nick hornby so schön:
    ‚Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden . . .‘

    🙂

    (bin nicht hupend durch die Stadt gefahren, sondern hab brav mit andern zusammen geguckt, ein Bier getrunken und EINMAL in die Vuvzela geblasen)

  9. Vorab: Der von Dir beschriebene Hype ist mir auch zuviel. Definitiv!

    Trotzdem liebe ich es, mir die Spiele in Gemeinschaft anzuschauen – gemeinsam feiern, jubeln und gerne auch mal etwas „weniger seriös“ als sonst zu sein.

    Ich mache das nicht am Fußball fest, aber derartige Veranstaltungen – wie zum Beispiel auch der Eurovision Song Contest – machen mir einfach Spaß! Egal wie es ausgeht, ich genieße die Stimmung, das Zusammensein mit Menschen, die ich im „normalen Leben“ nicht regelmäßig treffe und ganz einfach und vor allem die Möglichkeit, wenn auch nur kurz, aus dem Alltag auszusteigen.

    Ich hisse keine Flaggen, ich vuvuzelae nicht und ich veranstalte kein Hupkonzert oder gar eine Blockade auf der Straße.
    Ich genieße einfach nur die Ausnahmestimmung und finde es jetzt schon schade, dass es irgendwann vorbei ist.

    Wenn Du also mit „ihr“ die straßenbelagernde, laute und ausfällige Gesellschaft auf Deinem Foto ansprichst, gehe ich gerne mit.
    Darüber hinaus lebe ich aber weiterhin frei und gerne nach dem Motto „Jedem Tierchen sein Plaisierchen“. 🙂

  10. Ich verstehe Deine Angst und mir liegen die Gedanken von emathion sehr nahe – als betäubten sich die meisten an den Spielen, um all die großen Sorgen zu vergessen. Das beunruhigt mich auch sehr. Große Teile unserer Meere und damit die künftige Lebensqualität unserer Kinder werden gerade vergiftet. Die Ausmasse sind so gewaltig – die weltweite Empörung viel zu gering.

    Aber ich verstehe auch die, die von Gemeinschaftserlebnis sprechen, der Freude an unbeschwerter Ausgelassenheit. Wenn wir uns in dieser Intensität auch den anstehenden Problemen widmen könnten, „the world could be a better one“…

  11. Vielen Dank an die „Über-Nacht-Kommentatoren“

    @emathion Deinen Blick auf die Geschichte kann ich verstehen. Etwas Ähnliches habe ich zu meinem Sohn gesagt. Und ja es wirkt wirklich wie ein Ventil um alles um sich herum zu vergessen.

    @thobi75 @beingmenow klar, es ist absolut klasse sich zusammen zu freuen, ausgelassen zu sein. Ob die Freude über Lena oder über einen Gewinn im Fussball. Das meinte ich ja auch nicht, insofern sind wir da schon auf einer Wellenlänge (außer, dass ich von Fussball echt keine Ahnung hab)

    Danke für das Nick Hornby Zitat, toller Schriftsteller und klasse Zitat

    @issis diesen Aspekt hatte ich in meinem Ursprungstext auch drin. Und dann habe ich mich gefragt, was ich tue, und da bin ich nicht besser als die meisten die sich fassungslos darüber aufregen was gerade im Golf von Mexiko passiert und dann doch nicht handeln. Insofern hätte ich es pharisäerhaft gefunden, wenn ich den Fussballgrölern etwas vorgeworfen hätte was ich auch nicht besser mache. Aber ja es stimmt, die Welt hat richtig massive Probleme und wir tanzen auf dem Vulkan.

  12. Du schreibst mir aus der Seele. Ich mag Fußball sehr. Mittlerweile ernte ich schon ungläubige Blicke, wenn ich auf die Frage „Wo schaust du dir das Spiel an?“ mit „Zuhause auf dem Sofa“ beantworte. Ich kenne das gar nicht anders. Endspiele – da kann man mal über eine kleine Party nachdenken.

    Es irritiert mich schon sehr, dass dieses Rauschhafte jetzt schon beim ersten Vorrundenspiel ankommt. Das hinterlässt bei mir kein gutes Gefühl.

    Manchmal ertappe ich mich dabei, einer Mannschaft, die ich eigentlich mag, ein grandioses Scheitern zu wünschen, nur für einen Moment der Ernüchterung. Ist das nicht schrecklich?

  13. @Quintus Stimmt, damit bist du eine echter Exot, „zuhause auf dem Sofa“ wird wahrscheinlich nur noch von mir mit „gar nicht“ schauen getoppt, und ja manchmal ertappt man sich bei dem ein oder anderen bösen Gedanken 🙂

  14. Guten Morgen zusammen!

    Ich habe anhand des Vuzuela-Lärms heute Nacht erfahren, dass wohl Deutschland gewonnen haben muss, denn soviele Australier wohnen ja nicht hier. Ich finde diese Lärmbelästigung unglaublich rücksichtslos, denn ich bin mit Mittelohrentzündung im Bett gelegen und wollte eigentlich schlafen.

    Das Sommermärchen 2006 hat sich meiner Meinung nach daraus gespeist, dass es so viele verschiedene Menschen – Fans und Nichtfans, Deutsche und Bürger anderer Nationalitäten so friedlich vereint hat, bewegende Feiern ermöglicht hat und ein unglaubliches Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugt hat. Damals waren wir alle Fans – sogar mich hat es damals mitgerissen, wo ich dem Fußball gewiss nicht viel abgewinnen kann.

    Ein Sommermärchen kann es diesmal schon wegen dieses unsäglichen Instrumentes nicht werden – dafür polarisiert und spaltet die Tröte viel zu sehr. Es hilft auch nicht, krampfhaft diesen Sommerzauber heraufbeschwören zu wollen – auch mit 120 dB geht das nicht.

    Da bin ich noch gar nicht bei dem Gedanken angelangt, warum wir heutzutage so viele Ersatzhelden brauchen, Lena zum Beispiel oder jetzt eben unsere „Jungs“.

    Welche innere Leere herrscht bei den ausgelassenen Fans? Ich kann den Gedanken des Betäubens gut nachvollziehen, die Fans wirken ja manchmal wie in Trance, da befürchte ich, dass der Verstand abgeschaltet ist…

    Als Helden kann ich unsere Nationalmannschaft leider nicht sehen. Wahre Helden sind die, die zwischen pöbelnde Nazis und ihre Opfer einschreiten, wahre Helden sind die, die anderen das Leben retten und darüber vielleicht sogar ihr eigenes lassen müssen…

    Ich wünsche mir, dass wir alle diese echte Lebendigkeit im Inneren wiederfinden und nicht durch Massenberauschung ersetzen müssen.
    Wahre Helden sind die, die noch diesen Funken Lebendigkeit im Inneren spüren und diesem Funken treu sind, sei es durch verantwortungsvolles, sei es durch ehrliches Handeln.

  15. Bin absolut derselben Meinung. Gottseidank wohne ich in einer Gegend, in der die Vuvuzela-Dichte sehr gering ist. Ich gucke nur alle vier Jahre Fussball und freue mich über ein gutes Spiel – auch wenn Deutschland nicht spielt – aber dieses totale Ausgeflippe lässt mich zwischen Belustigung und Befremden schwanken. Wobei sich die Belustigung zunehmend legt.

  16. @Claudia erst mal gute Besserung für die Mittelohrentzündung. Dann ist das Ganze ja wirklich unerträglich. Die Frage welche Ersatzhelden wir brauchen ist meiner Meinung nach echt berechtigt. Möge dein am Schluss geäußerter Wunsch in Erfüllung gehen 🙂

    @Kai O Ja, irgendwann ist Schluss mit lustig 🙂

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