Twitter sucks

Ich mag Twitter und ich schätze die Menschen denen ich folge. Ich folge ihnen, weil sie Interessantes posten, weil sie witzig, schlagfertig und kreativ sind. Manches mal geht mir das, was sie twittern auf die Nerven, wenn Fussball angesagt ist z.B., oder irgendeine Casting Show besprochen wird. Aber auch das ist ja normal. Auch im wahren Leben stimme ich mit meinen Freunden, in dem was uns interessiert, nicht 100% überein. So weit, so gut. Und wie bei allem gilt: es gibt einen Ausschaltknopf oder im wahren Leben: man kann gehen.

Aber manchmal muss man sich Luft machen bevor man geht, muss nicht alles tolerieren, sondern Stellung beziehen. Und so ein Fall war heute Abend. Der größte Teil meiner Timeline war durch das grauenhafte Unglück auf der Loveparade in Duisburg mehr als betroffen. Manchmal wünschte ich mir, die Menschen würden dann sprachlos werden, aber jeder hat eine andere Art, mit so einem Schrecken umzugehen.

Statt einfach nur die Trauer und das Entsetzen miteinander zu teilen, war sich ein großer Teil der Timeline in einigen Punkten sehr schnell einig: Die Gefahr war vorher schon bekannt, es war eine Katastrophe mit Ansage und einige verstiegen sich zu der Aussage: wer da hinging war selber Schuld, und da bräuchte man ja nicht unbedingt Mitleid zu haben.

Ungeprüft wird da angeklagt und Schuldige benannt. Ich finde das schlicht ungeheuerlich. Das muss doch ein Reflex aus der Steinzeit sein, der bei den Meisten  (ich bin auch nicht immer frei davon, versuche mich aber zumindest zurückzuhalten Vorverurteilungen in die Welt hinauszuposaunen) diesen Drang auslöst, einen Schuldigen zu benennen und am besten „virtuell“ am nächsten Baum aufzuknöpfen.

Es sind furchtbare Fehler gemacht worden, Fehler die Menschenleben gekostet haben, die Gesundheit von vielen ruiniert und sicherlich Traumata bei Ungezählten verursacht haben. Aber können wir, die wir zuhause gemütlich vor dem PC (oder Mac) sitzen, wirklich beurteilen, was passiert ist und vor allem wer Schuld trägt?  Ich glaube nicht.

Und noch ganz kurz zu dem Punkt, die Menschen die umgekommen sind hätten ja selbst Schuld gehabt. Da ist ja ein ganz interessanter Ansatz. All die, die dieser Meinung sind, verlassen sicher nie das Haus, benutzen nie Auto, Bahn oder Flugzeug oder treiben Sport. Welche masslose Überheblichkeit gehört dazu, so etwas zu schreiben.

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31 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Zuhausebleiben ist auch keine Lösung. Selbst im Haus kann es gefährlich werden. Allerdings wäre es dann nicht die große Schlagzeile.

    Es ist schlimm, was in Duisburg passiert ist. Sehr schlimm. Auf einem eigentlich fantastischen, weltweit einzigartigen Fest.
    Mit tun die Opfer leid. Und ihre Familien. Ich darf garnicht daran denken, wenn meine Töchter bereits in dem Alter wären, auf solche Events zu gehen.
    Und trotzdem werde ich sie niemals einsperren.

    Die frühen Schuldzuweisungen, das schnelle Dementieren jeglicher Schuld – alles das sind Schnellschüsse, die sich bei näheren Untersuchungen schnell relativieren werden.
    Niemals werden sich Unglücke ganz ausschließen lassen – aber wir sollten daraus lernen. Unsere Verantwortung ist es, Vorsorge zu treffen.
    Und in dem Wissen, dass es eine einhundertprozentige Sicherheit
    niemals geben wird, trotzdem jungen Menschen das Feiern auch in Zukunft ermöglichen.

  2. „All die, die dieser Meinung sind, verlassen sicher nie das Haus, benutzen nie Auto, Bahn oder Flugzeug oder treiben Sport.“

    Weil ich eben das tun muss oder tun will – das Haus verlassen, Autofahren … Reiten, auf Konzerten in einer der vorderen Reihen stehen – eben deshalb brauch ich möglichst einen Schuldigen, wenn eine (ähnliche?) Situation außer Kontrolle geraten ist. Sonst müsste ich ja erkennen, dass so was jedem und überall passieren kann – auch mir. Wo bleibt denn da die beruhigende Illusion von Kontrolle ?

    Panta rhei – natürlich mag ich das… in ruhigen, stillen Momenten.
    Aber manchmal ist die Kontrollsucht stärker. Je irritierter, desto Kontrollsucht.

    Zwischen Betroffenheit und Schuldzuweisung wär ein stiller Moment sinnvoll. Melde meinerseits Mangel an Weisheit – hoffe aber, dass sich das noch rauswächst… Schimpf nicht mehr.

  3. Wie viele finde ich das, was am heutigen Tag in Duisburg geschehen ist unfassbar schrecklich und erschreckend.
    Noch eine Stunde vor dem Unglück schrieb ich, dass ich auch gerne an der Loveparade teilnehmen würde. Da wusste ich noch nicht unter welchen Vorzeichen diese Veranstaltung stand. Ein einziger Tunnel als Zugang zum Gelände für 1,4 Millionen. Ich weiß nicht, ob mich das abgeschreckt hätte, wenn ich ernsthaft mir das vorgenommen hätte.
    Wie viel Vertrauen in die Planer solcher Veranstaltungen soll ich in Zukunft haben? Wie viel mehr muss ich selbst als Teilnehmer im Vorhinein darauf Acht geben welches Risiko besteht? Gewiss, eine hundertprozentige Sicherheit kann es niemals geben, und deshalb ist es schwierig mit der Frage nach Schuld und Verantwortung zu argumentieren. Ich bin am heutigen Abend ratlos und werde wohl noch brauchen und darüber nachdenken müssen, wie ich mit diesem Unglück nun umgehen soll.

  4. Schuldzuweisungen sind auch ein Versuch, das Entsetzliche vor sich selbst zu verdrängen. Mit der Erfahrung fertig zu werden, dass man selbst hätte Opfer werden können, ohne auch nur die geringste Chance zu haben, der Katastrophe zu entgehen, widerspricht in allem der Art und Weise, wie wir uns in unserem Leben eingerichtet haben. Wir haben sehr viele Risiken aus unserem Leben verbannen oder wenigstens individualisieren können. Dass es einen trotzdem treffen kann, stellt das infrage. Irgendjemanden verantwortlich sehen zu wollen, ist da nur natürlich.
    Web 2.0 verdeutlicht das, was man im Kleinen in traumatischen Situationen auch wahrnimmt. Ein Medium wie twitter mit dem Zwang zur Kürze verstärkt das vermutlich. Bei facebook habe ich dagegen auch threads gesehen, in denen diesen Primärreaktionen widersprochen und damit insgesamt ein anderer, abgewogenerer Eindruck entstehen konnte.

  5. Auf Twitter fand gestern der Fortsatz der Panik statt, so sind wir leider, wir Menschen. Da stand auf einmal in der timeline, das, was sonst nur im Wohnzimmer in der Erregung der ersten Nachricht gesprochen – und nach einem Rationalisieren wieder vergessen wird.

    Die „virtuelle“ Situation erinnerte mich fatal an 2001. Ich war damals in mehreren lebhaften literarischen Foren angemeldet. Die Diskussionen um den 11.9., von Betroffenheit bis zum Aufrufen eines heiligen Krieges gab es alles und 2 Foren redeten sich ins Aus, weil sich die Menschen hinter den Tastaturen heillos zerstritten.

    Emotional aufwühlende Situationen in virtuellen Welten sind schwierig, hier fehlt vor allem das Erleben der Körpersprache, die Duftmarken, all das Unbewusste.

    Auch das sollte man bitte nicht überbewerten. Menschen reagieren eben mal so mal so….

  6. @Ulrich @DasNordlicht @Maja danke für eure Zustimmung

    @saarlandman danke für diese Ergänzung.

    @ponyQ deswegen hatte ich mich ja auch nicht ausgenommen. Ich spreche mich nicht frei davon, aber wie @mikel angemerkt hat, jetzt stehen Sachen in der Timeline die sonst nur im Wohnzimmer ausgesprochen werden. Vor allem gesprochen nicht geschrieben. Ich spüre genauso den Drang Schuldige zu finden, und hier bin ich auf einen Nebenplatz ausgewichen. Deswegen hast du mit deinem „schimpf nicht mehr“ auch Recht.

    @Sebastian wie gut, dass du nicht gefahren bist. Aber wie du auch treffend angemerkt hast, man wägt nicht im Vorhinein ab, ob die Verantwortlichen ihren Job richtig getan haben.

    Was war denn mit der WM in Südafrika. Da haben auch im Vorfeld viele geschrieben, dass die Sicherheit nicht gewährleistet ist und wenn was passiert wäre hätte es auch jeder gewusst. Es gibt im Leben einfach keine 100% Sicherheit.

    @Regina danke für deine Gedanken. Das ist eine Erklärung mit der ich sehr viel anfangen kann. Die Verkürzung bringt sicher eine Überzeichnung mit sich. Und vielleicht war gerade deswegen mein Drang groß durch bloggen darauf zu reagieren. In meiner Facebook Timeline habe ich übrigens solche Aussagen nicht wahrgenommen. Das mag auch daran liegen, dass ich fast alle meiner Kontakte dort wirklich kenne, und dass die Chance in grundsätzlichen Aussagen (außer Politik) übereinzustimmen, daher höher ist.

    @Mikel Danke für deinen Kommentar. Es ist wohl eine „normale“ Reaktion und breitet sich egal auf welchen Kanal aus. Zeigt aber auch, dass wahres Leben und richtige Gespräche durch nichts zu ersetzen sind.

    Vielen Dank noch mal an alle die kommentiert haben. Durch eure Kommentare habe ich viel dazu gelernt und meine Sichtweise erweitert.

  7. Nichts ist kontrollierbar, nur die eigene Intuition könnte endlich mal öfter eingeschaltet werden..und der Herdentrieb des dabeiseinmüssen abgeschaltet..
    Ein Blinder mit Krückstock sieht doch dass der Tunnel großen Menschenmassen nicht gewachsen sein wird….
    Und zum Thema „selberschuld“ ja man zieht alles im Leben selbst an, nichts ist Zufall oder Ungück. Das unbewusste Innenleben ist der Magnet der äußerlichen Ereignisse. das ist Eigenverantwortung. Leider wird dies von den meisten Menschen nnoch schreiend von der Hand gewiesen.Irgendeiner da oben muss Schuld haben……

  8. Nun, einer Tatsache muß man leider in die Augen sehen: Es _war_ eine Katastrophe mit Ansage. Unzählige Laien(!) haben bereits im Vorfeld der Veranstaltung öffentlich darauf hingewiesen, daß das Gelände zu klein und der Zugang als einziger Zugang ungeeignet ist. Viele haben z.B. auf derwesten.de in den Kommentaren genau dieses Unglück an genau dieser Stelle vorhergesehen.

    Einige von uns Twitterern – so z.B. auch ich – haben all das aber erst gestern überhaupt erst erfahren. Einfach deshalb, weil mich die Love Parade ansonsten nur insofern interessiert, als ich ihr möglichst weitläufig ausweiche. Daß man sich dann in dem Moment und im ersten Entsetzen Luft macht über die Kurzsichtigkeit der Veranstalter, finde ich eigentlich nicht verwerflich. Mit Besserwisserei hat das m.E. nichts zu tun.

    Daß der Veranstalter allerdings schon in der ersten Stellungnahme meint, die Opfer hätten garantiert etwas Unerlaubtes getan und hätten damit selber Schuld, _da_ geht _mir_ der Hut hoch. _Das_ nenne ich Vorverurteilung.

    Was ich in der Timeline bei solchen Gelegenheiten ebenfalls immer interessant finde, sind diejenigen, die auf die sich betroffen Zeigenden herablasend mit dem Finger deuten und sie belehren, es würden schließlich täglich Menschen überall sterben und die Betroffenheit in der Timeline sei nur Sensationsgier. Wohlgemerkt: Von diesen Menschen hört man aber auch dann nichts, wenn in ihrer Umgebung Schlimmes passiert. Stolz aufs Nichtbetroffensein finde ich in der Tat ausgesprochen vielsagend…

  9. Den Drang, mal schnell den oder die Verantwortlichen/Schuldigen zu suchen und zu benennen, finden wir im Alltag (Beruf und Privat) immer wieder, es ist der kürzeste Weg der Verarbeitung. Ist erst der/die Schuldige/n gefunden, kann man zur Tagesordnung übergehen.
    Dass ein solches Unglück, eine solche Katastrophe jedoch die Folge vieler kleiner, zunächst nicht erkennbarer Fehler ist, zeigt sich erst in der Analyse. In den allermeisten Fällen, stellt sich allerdings heraus, dass „menschliches Versagen“ die Grundlage für derartige Katastrophen ist. Vielleicht erklärt auch das die schnellen Urteile.

    Hier fallen einem sofort aber tatsächlich gravierende Fehlleistungen ins Auge: ein Veranstaltungsort, der für ca. 300 000 bis 400 000 Teilnehmer geeignet ist wird für über 1 Mio. Teilnehmer freigegeben, ein Zugang, der durch einen Tunnel führt, der keine Notausgänge aufweist etc.

    Hier hat die Gefährdungsbeurteilung nicht funktioniert, weshalb auch immer …

    Den Opfern und ihren Angehörigen ist das kein Trost, allenfalls kann man wünschen, dass ihnen zumindest eine unbürokratische, schnelle Hilfe zuteil wird.

  10. Danke Andrea für Deinen Artikel. Danke an alle Kommentatoren für die differenzierten Beiträge.
    Ich habe glücklicherweise gestern die Berichte auf Twitter nicht mitbekommen und kann nur noch anmerken, dass ich bei dem Besuch von Massenveranstaltungen immer ein komisches Bauchgefühl habe – ich gehe ja z.B. auf Kirchentage und mir ist nie besonders wohl, wenn da Tausende Menschen auf einem Fleck sind…
    Ich bin tief betroffen angesichts der Tragödie.

  11. es gibt nie eine sicherheit, wir können nur mit wachem geist und offenen augen durchs leben gehen und das auch unseren kindern beibringen, auch um anderen im notfall helfen zu können.
    ich fand es vollkommen okay, das zB suchmeldungen getwittert wurden etc aber dieses immer wieder publik machen von den todeszahlen und die diskutiererei wer schuld war und dass es ja so viele besser wussten und warum die menschen überhaupt hin sind , fand ich daneben 🙁
    ich wäre wenn ich jünger und ohne kind und mann gewesen wäre vllt auch hingefahren …

    man sollte einfach daraus lernen … wir sind alles menschen . keiner ist unfehlbar .

    lg sandra

  12. In deinem Kommentar geht es ja weniger um das, was in Duisburg geschehen ist, als darum, was auf Twitter (und vermutlich überall sonst in den sozialen Netzwerken und Foren) geschehen ist.
    Und was da geschehen ist, ist meiner bescheidenen Beobachtung zufolge eigentlich nur das, was dort ständig haufenweise geschieht: das merkwürdige Geleiere der Witz- und Kommentarmühlen und das Angeben mit Gefühlsfassaden.
    Andererseits darf man sich eben nichts vormachen: Das Netz ergibt ein ganz gutes Bild von dem, was die Leute im Kopf haben und wo sie eigentlich bewusstseinsmäßig stehen. Und dieses Bild ist alles andere als eine Idylle. Es wuchern eben nicht nur die lustigen Sprüche, die Nettigkeit und interessanten Informationen, es wuchern auch Herzlosigkeit, Blödsinn, reaktionäres Denken und alle Schattierungen von menschlicher Oberflächlichkeit und Niedertracht. Das wird eigentlich jedesmal deutlich, wenn einzelne Ereignisse stark „trenden“. Und – zugegeben – Twitter ist da noch die eher harmlose Ecke im Netz (jedenfalls in Deutschland).
    „Selber schuld“ hat alles davon: Es ist dumm, herzlos, niederträchtig und eitel. Aber … so ist der Mensch eben auch.

  13. seit heute früh lese ich kommentare/leserbriefe auf spiegel online und ja, liebe andrea, einerseits bin ich sprachlos, weil es mir für das ausmaß einer solchen katastrophe die worte fehlen. andererseits bin ich zutiefst empört und möchte LAUT schreien, wenn ich die ersten stimmen aus politik und öffentlichkeit höre.
    natürlich wird zunächst betroffenheit und mitgefühl bekundet, das muss so sein, das wird erwartet! aber dann sofort im zweiten satz wird nach den schuldigen gesucht. das sind die mit drogen und alkohol vollgepumpten jungen menschen, die versucht haben aus dem tunnel über die leitern zu flüchten. so einfach ist es!!! und sowieso, wer da hingeht, hat selbst schuld!!! was für eine unglaubliche heuchelei!

    es ist doch eigentlich völlig klar, dass man die love parade nicht an einem geschlossenen ort stattfinden lassen kann, der zudem noch für weit weniger teilnehmer zugelassen ist, als zu erwarten war?!!!!
    aber da wird das aufräumen einfacher, die reinigungs – und sicherheitskosten sind überschaubarer – da haben wir es wieder, das „liebe“ geld, das offenbar bei manchen entscheidern das hirn ausschalten und alles andere verdrängen kann!!!!
    ach und es ist doch erstmal sowieso völlig wurscht wer schuld ist – können wir nicht einfach trauern?
    an die eltern und freunde der verstorbenen kinder denken?
    an all das leid, das sich heute bei tausenden von menschen breit macht und vielleicht nie mehr richtig vergehen wird?
    ich weiss nicht, was eine grössere tragödie ist; der tod von 19 jungen menschen, oder die reaktion der öffentlichkeit; beides macht mich einfach sehr, sehr traurug.

  14. Die pauschalen Angriffe auf Veranstalter und Teilnehmer sind typische für die Bigotterie unserer Alte-Leute-Gesellschaft.
    Denn es wird geflissentlich ausgeblendet, daß eine (oder mehrere) Behörden die Veranstaltung in der Form auf diesem Gelände genehmigt haben.
    Diese Leute haben meiner Meinung nach ihren Job nicht ordentlich gemacht.

    Was mich aber tatsächlich ärgert, ist die implizite Aufforderung zur Betroffenheit, die in all den Artikeln, Tweets und Blogposts mitschwingt.
    Mir aber ist die Veranstaltung herzlich egal, die Mucke ist nicht die Meine, soweit ich weiß ist niemand von meinen Leuten dabei gewesen – also, was soll’s. Ich bin nicht „betroffen“.

    Was dein Beispiel mit der Teilnahme am Strassenverkehr angeht, so sehen doch tatsächlich immer mehr Verkehrsrichter eine prinzipielle Mitschuld am Unfall auch bei dem verkehrsteilnehmer, der keinen Fehler gemacht hat. Denn wäre er nicht dagewesen, hätte es keinen Unfall gegeben…..

    Schließlich würde es mich mal sehr interessieren, ob man das Oktoberfest oder den Kölner Karneval auch abgebrochen hätte.

  15. Schwierig.
    Ich habe mich gestern größtenteils herausgehalten auf der Timeline. Aber ich habe sie verfolgt. Meine Tochter ist nämlich gestern ganz spontan mit drei Freunden nach Duisburg gefahren, weil sie dann doch auf die Veranstaltung wollten. Als das Unglück geschah, waren sie noch auf der Autobahn, allerdings kurz vor dem Ziel. Nachdem ich sie endlich erreicht hatte, erzählte sie mir, dass sie an einer Tankstelle in Duisburg stünden, recht weit von dem Gelände der Loveparade entfernt. Das Gespräch wurde dauernd unverständlich wegen der Martinshörner. Die Stimme meiner Großen schwankte zwischen Unsicherheit und Schock, denn sie hat auf dieser Tankstelle Menschen getroffen, die direkt betroffen waren, die Angehörige verloren bzw. im Krankenhaus hatten. Ich habe schlecht geschlafen. Auch ich verurteilte im Vorfeld – nicht öffentlich, aber ich hielt und halte den Veranstalter und die Stadtväter für schuldig. Hätte ich dieses gestern bereits über das Netz ausgespuckt, was mich die halbe Nacht umgetrieben hat, vielleicht wäre der Kloß im Hals nicht mehr so gewaltig, vielleicht hätte ich dem Raum gegeben, was mich neben der Trauer so bedrückt?
    Ist es denn nicht so, dass durch die schnelle Information über z.B. Twitter nicht nur schnell die Gemüter hoch kochen sondern auch gewissen Verschleierungstaktiken bereits im Vorfeld Raum genommen wird? Ist es nicht so, dass Wut, Bestürzung und Trauer ein Ventil brauchen? Ich z.B. habe gestern niemanden im heimische Wohnzimmer gehabt, mit dem ich hätte fluchen, beschimpfen und schweigen können. Mein Wohnzimmer ist oftmals das Netz. Ich habe es zwar gestern nicht genutzt, das liegt aber daran, dass ich einfach heilfroh war, dass meine Große im Stau gestanden hat und nicht „rechtzeitig“ bei der Party war – und es kam mir seltsam vor, meine Erleichterung zwischen all den anderen Meldungen kund zu tun. Dennoch – auch diese Erleichterung hätte ein Ventil gebraucht.
    Nur so ein paar Gedanken, zugegeben, noch weit gehend unreflektiert. Nichtsdestotrotz mussten sie raus. Und ich denke, das ist der Kasus Knaxus bei dieser Tragödie – manches muss einfach raus. Aus den unterschiedlichsten Gründen. Bei manchen eben auch, damit sie sich selbst feiern können…

    • @Ute es werden so viele Unglücke vorhergesehen die dann glücklicherweise nie eintreffen. Bei 1,4 Mio Menschen hätte es auch noch viel schlimmer kommen können.

      Mich nervt, dass so viele ungeprüft Dinge nachplappern. Ich hab auf Twitter schon mehr als einmal miterlebt, dass Dinge fest behauptet wurden die jeglicher Grundlage entbehren. Auch die Leserbriefe die so schnell die Runde machen. Auch da gab es an anderer Stelle schon Fälschungen die Menschen bei anderen Katastrophen schnell ins Netz gestellt haben. Gut hier hat sich rausgestellt, dass der Leserbrief echt war. Meiner Meinung nach, sollte man den Großteil der Recherche erst mal den Journalisten überlassen bevor man ungeprüft wiederholt.

      Und die Menschen die darauf hinweisen, dass ja jeden Tag Menschen sterben und die so abgebrüht sind, dass es schon fast unerträglich ist, das finde ich auch sehr schlimm.

      @Tilla Pe Schwierig. Ja das ist es wirklich. Für dich muss es grauenhaft gewesen sein. Und du hast vollkommen Recht, manches muss einfach raus.
      Frage mich auch immer mehr, worin mein Verurteilen der Verurteiler auch nur einen Deut besser war. Jeder, den es berührt sucht sein Ventil.

      @ all Danke an alle für eure wert-vollen und be-reichernden Meinungen und Kommentare

      Je mehr ich darüber nachdenke und auch als Reaktion auf all die bereichernden Kommentare hier und auf Twitter, hinterfrage ich meinen Blogpost auch immer mehr. Ich verurteile Menschen weil sie verurteilen. Das ist genauso falsch. Jeder hat seine Art damit umzugehen. Alle die in welcher Form auch immer darüber reden brauchen ein Ventil.
      Ihr habt mit euren Kommentaren viele weitere Gedanken angestossen, dafür danke ich euch herzlich.

  16. @bachmichels: Frag‘ mal @fischblog, was der davon hält, erstmal die Journalisten recherchieren zu lassen, bevor man selbst etwas sagen darf. Der wird sich schlapplachen. *g*

    Davon abgesehen stammte der erste Hinweis auf die Prophezeihungen der Laien aber tatsächlich von einem Journalisten. 😉

  17. Ich würde nicht sagen „Twitter sucks“.

    Twitter oder eher das Internet an sich ist amoralisch. Die Menschen sind es die es für gutes oder schlechtes benützen.

    Wir müssen lernen damit klar zu kommen das viele es als Sprachrohr für ihre Gefühle und Stimmungen benützen. Das sie damit anderen vor den Kopf stoßen, ist von ihnen sicher nicht so beabsichtig.

  18. Mir geht die ganze Zeit zu diesem Thema noch ein anderer Gedanke durch den Kopf, der vielleicht ein wenig zu weit weg führt, vielleicht aber auch nicht.

    Wenn ich versuche zu den Fakten zurückzukehren und zum Wesentlichen, dann stelle ich mir die Frage, was der Grund dafür ist, wieso aufgestellte Sicherheitmaßnahmen für Ausnahmen außer Kraft gesetzt werden können und dürfen. (In diesem Fall betraf es die Fluchtwege-Regelung.)

    Welche Kriterien werden dafür angewandt? Mir drängt sich inzwischen manchesmal die Frage auf, dass es vor allem wirtschaftliche Interessen sind, die hierzu den Ausschlag geben. Doch wenn Menschen beteiligt sind, sollten dann nicht ethische Interessen den Ausschlag geben?

    Hab mir dazu mal die Definition von Ethik aus der Wikipedia entliehen: […Kriterien für gutes und schlechtes Handeln und die Bewertung seiner Motive und Folgen aufzustellen…]

    Wenn Entscheidungen zu treffen sind, die wirtschaftlich gesehen einen großen Erfolg versprechen, sollte dann nicht die letztliche Wahl über „Kriterien für gutes und schlechtes Handeln und Bewertung von Motiven und Folgen“ erfolgen?

    Da unser Staats- und Wirtschaftsleben inzwischen so komplex geworden ist, dass es für einen einzelnen der darin eine Rolle spielt, selbst schon nicht mehr durchschaubar ist, kommt es umso mehr auf jeden einzelnen an, dass er seine Entscheidungen dieser ethischen Überprüfung unterwirft.

    Und das auf jeder Ebene auf der gearbeitet und entschieden wird. Denn nur so ist die Gewissheit möglichst groß, dass alle in der Hierarchie weiter oben stehenden Verantwortlichen sich auf die Entscheidungen, die unter ihnen getroffen werden, stützen können.

    Ich frage mich tatsächlich, was das für uns selbst bedeutet. Welche Entscheidungen treffen wir aus Eile, aus Unlust einer näheren Betrachtung ohne Abschätzen der Motive und Folgen?

    Welches Denken wollen wir insgesamt in unserer Gesellschaft verstärken? Und was müssen wir dazu als Einzelwesen, aus denen unsere Gesellschaft besteht, beitragen?

    Wie schon eingangs erwähnt, es kann durchaus sein, dass diese Gedanken zu weit weg führen, vielleicht aber auch nicht….

  19. @happy-buddha du hast natürlich vollkommen Recht. Natürlich kann Twitter als Plattform nichts dazu was einige Menschen im Überschwang der Gefühle posten, aber mir ist einfach nichts besseres eingefallen was so griffig klang

    @Alexandra sehr gewichtige Gedanken die du formulierst. Sicher wäre es so wirklich wünschenswert. Bei komplexen Entscheidungen bei denen so viele Menschen mitwirken, kommt es bestimmt auch oft vor, dass der Einzelne unterschätzt, was er oder sie durch ein „besseres“ Verhalten an gutem bewirken kann. Wie oft sind viele von uns resigniert weil die Stimme der Vernunft oder der Ethik ungehört verhallt.
    Es wäre schön, wenn jeder für sich die Entscheidungen die er trifft und die andere Menschen betrifft einer kritischen Überprüfung wie du sie beschreibst, unterzieht, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass es schon an der Erkenntnis fehlt, dass dies notwendig sein könnte.

  20. […] die Rolle von Twitter bei der Berichterstattung nach der Katastrophe hat Andrea in ihrem Blog schon hinreichend berichtet und viele kluge Kommentare haben dazu beigetragen, ein Stück mehr zu verstehen, wie die […]

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