Heute habe ich einen Mitarbeiter im Krankenhaus besucht. Es war schon der zweite Besuch. Beim ersten Mal vor ca 4 Wochen stand die Amputation von 2 Zehen in Folge einer Diabeteserkrankung kurz bevor. Heute nun, war auf die Zehenamputation die Amputation von Fuss und halbem Unterschenkel erfolgt. Die OP war Donnerstag und ehrlich gesagt hatte ich ziemlichen Bammel vor dem Besuch. Wie verhält man sich gegenüber einem Menschen, dessen ganzes Leben auf dem Kopf steht, dem die Möglichkeit genommen wurde, sich jemals wieder so durchs Leben zu bewegen, wie er das gewohnt ist, der nichts so sehr liebt wie mit seinem Hund spazieren zu gehen, und dem dies nun nicht mehr möglich sein wird.
Ich hatte erwartet einen zutiefst deprimierten Menschen vorzufinden. Einen Menschen, der mit seinem Schicksal hadert und der dem nachtrauert was einmal war und nie wieder sein wird. Und nicht zuletzt einen Menschen, der von den Nachwirkungen der ja mal gerade 2 Tage zurückliegenden OP noch sehr mitgenommen ist.
Aber es kam ganz anders. Herr Kutscher (Name stimmt natürlich nicht :-)) sass aufrecht im Bett. Sah aus wie immer, außer, dass da eben ein Stück fehlte. Auf die Frage wie es ihm ging, betonte er, wie froh er sei, dass die Schmerzen, die er vor der Amputation hatte, jetzt vorbei seien. Meine vorsichtige Frage, ob er vielleicht im Rollstuhl mit nach draußen kommen möge, beantwortete er mit: „Na klar“. Ich hatte gar keine Zeit mir Gedanken zu machen, wie er in den Rollstuhl kommt. Mit einer Selbstverständlichkeit, als würde er sich schon immer so fortbewegen, schwang er sich in den Rollstuhl und fuhr selbst zum Fahrstuhl. Auch schieben sollte ich ihn nicht, das ginge schon. Und auch das Manövrieren im Café, das wir nach unserem Ausflug nach draußen ansteuerten, gelang ihm, als hätte er jahrelange Übung.
Auf meine Frage ob er denn nicht sehr traurig sei, meinte er nur lapidar: „Warum denn? Ich kann es ja doch nicht ändern.“ Im Übrigen seien die Schwestern nett, die Ärzte kompetent, er müsse ja nur noch 2 Wochen im Krankenhaus bleiben, dann ginge es in die Reha und zuhause käme er bestimmt auch zurecht, es sei ja alles flach, ohne Stufen.
Der Besuch heute im Krankenhaus hat mich wirklich tief berührt und mit ganz viel Hochachtung für einen so tapferen und bemerkenswerten Menschen erfüllt, der seit heute für mich ein wirkliches Vorbild ist.
Bewundernswert, wirklich.
Und es freut mich für ihn, dass er eine Chefin hat, die ihm mit ihrem Besuch zeigt, dass sie ihn schätzt.
Ups, mir stehen jetzt auch ein bisschen die Tränen in den Augen.
Wie gut, dass er so optimistisch ist. Solche Menschen brauchen wir als Vorbilder. Daraus können auch wir ein Stück Kraft und eine positive Einstellung gewinnen / abschauen.
Richte ihm bitte meine besten Wünsche aus.
Ich kann mich „michallein“ nur anschliessen: Du bist eine tolle Chefin, die ihr Herz am rechten Fleck hat.
meine oma hat mit ihrer lebensphilosophie bereits die dritte generation „infiziert“ – sie hat viel schreckliches erlebt und trotzdem habe ich sie als herzliche und lachende frau in erinnerung.
sie würde zu herrn kutscher sagen: „sei froh, dass du das andere bein noch hast!“.
ich habe von ihr gelernt, dass es in jedem noch so furchtbaren ereignis auch ein geschenk steckt, man muss nur genau hinschauen und bereit sein es anzunehmen.
im laufe meines lebens habe ich viele rolli-fahrer kennen gelernt, die diese philosophie für sich entdeckt haben und selbstmitleid verabscheuen.
so z.b. eine tolle frau, die seit ihrer kindheit an MS leidet und im rollstuhl sitzt. sie hat ihre gesamte aktivität und kraft in ihre bildung umgeleitet, studiert psychologie und mit 30 ist sie unglaublich belesen – summasummarum eine lebendige, kommunikative und phantastische frau!
das leben blüht in allen farben und schwarz gehört dazu, denn erst die kontur/die begrenzung bringt die farben richtig zum leuchten.
meine besten wünsche an herrn kutscher und ich hoffe,m dass er weiterhin dem „neuen leben“, das ihm bevorsteht mit mut und neugierde begegnen wird!
Liebe @Yvonne und liebe @Claudia, vielen Dank für das nette Feedback. Freue mich, dass ihr das so seht.
@Claudia: musste mich gestern in den ersten 5 Minuten sehr zusammenreißen um nicht loszuweinen. Es beschäftigt mich auch immer noch.
@Etelka wundert mich jetzt gar nicht, dass eine so tolle Frau eine so großartige Oma hatte. Wir können bestimmt immer wieder Menschen in unserm Umfeld entdecken, die obwohl „behindert“ uns so viel lehren können. Vor allem, dass das was die Gesellschaft als unabdingbar zum glücklich sein vermittelt: ein perfekter Körper, äußerliche Schönheit, nicht wirklich das ist, worauf es ankommt.
Eure Grüße werde ich sehr gerne ausrichten.
Ich weiß nicht, wen ich mehr bewundern soll. Den Mitarbeiter oder Dich. Ich hatte nämlich kürzlich diesen Mut nicht, eine langjährige Mitarbeiterin im Krankenhaus in ihren letzten Tagen zu besuchen. Ich finde es beeindruckend, dass du keine „Berührungsängste“ hattest, Herr Kutscher zu besuchen, der sich sicher riesig freuen würde, wenn er wüßte, was du über deinen Besuch bei ihm geschrieben hast. Chapeau!
@OleKopelke was habe ich denn gemacht außer mir 1 Stunde Zeit zu nehmen um einen Besuch im Krankenhaus zu machen, statt die Zeit vor dem PC zu hängen. Und glücklicherweise konnte Herrn Kutscher durch die OP ja geholfen werden, im Gegensatz zu deiner Kollegin.
Ob er sich freuen würde, ich weiß es nicht. Er würde wahrscheinlich nur mit dem Kopf schütteln und fragen was das soll :-).
Was Du gemacht hast? Die schwierigste aller Aktionen: Über die Mauer der eigenen Blockaden, Ressentiments, Ängste und Hilflosigkeit zu springen und etwas zu tun.
So ist es Claudia. Es ging nicht um die Stunde Zeit, sondern das Überwinden eigener Ängste und sich einer Situation stellen, die man vorher nicht wirklich einschätzen kann.