Rezension: Seele braucht Zeit

Seele braucht Zeit

Das Sachbuch Seele braucht Zeit von Verena Kast ist 2013 beim Kreuz Verlag erschienen.

Verena Kast ist Psychotherapeutin, Dozentin, Lehranalytikerin am C.G.Jung-Institut Zürich, Professorin und Vorsitzende der Internationalen Gesellschaft für Tiefenpsychologie.

Nüchtern und unaufgeregt beschreibt Verena Kast unsere oft sehr „seelenlose“ Zeit und wie wir uns von familiären, beruflichen und gesellschaftlichen Zwängen einfangen lassen.

In welchen selbst gestellten Fallen fangen wir uns immer wieder, wofür nutzen wir unsere Zeit und wo bringt uns das hin? Wie sehen unsere Beziehungen aus und ist die Hetzerei eine Erscheinung der Neuzeit?

Wie gelingt der Spagat zwischen den Bedürfnissen der Innenwelt und den Anforderungen der Außenwelt? Wie und mit wem treten wir in Resonanz?

Sind wir überhaupt noch mit uns in Kontakt, mit unserem Körper, unserer Psyche? Trainieren wir den Geist so wie unseren Körper, oder zahlt sich dieses Engagement in unserer Vorstellung nicht aus?

Wie sehen unsere Beziehungen zu anderen aus, sind es Projektionen, in denen unsere Vergangenheit die Regie führt, instrumentalisieren wir den anderen oder würdigen wir ihn in seinem Sosein?

Wie steht es mit unserer Empathie? Mit anderen, aber auch mit uns selbst. Zerfleischen wir uns oder können wir empathisch mit unseren Schwächen umgehen?

Sehr gut hat mir dazu der folgende Vergleich der Autorin gefallen:

„Werden Füchse bei der Fuchsjagd gehetzt, so haben wir Mitleid mit ihnen. Und mit uns selbst? … Das Sich-Hetzen als verborgener Wert muss hinterfragt werden. „

Aber: Rechnet sich das überhaupt, sich der Seele zuzuwenden?

Verena Kast  zitiert Ernst Fehr, einen österreichischen Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der Universität Zürich, der es in einem Interview in der NZZ am Sonntag (22. Juli 2012) wie folgt ausgedrückt hat:

„die Effizienz des rationalen Marktes allein macht eine Gesellschaft seelenlos.“

Dass wir immer wieder unsere Seelenzeit auf später verschieben, rächt sich bei vielen.

Spätestens in der Lebensmitte, ereilt viele die Quittung für die „nicht investierte“ Zeit.

Zeit, die eher in einen schönen, fitten Körper geschickt gesteckt wurde, als in eine schöne Seele. Der nach außen sichtbaren Identität wird mehr Bedeutung beigemessen als der Innenwahrnehmung. Ohne ansehnliches Äußeres keine Daseinsberechtigung. Wird diese Perspektive eingenommen, bereut man dies oftmals zu einem späteren Zeitpunkt.

Depression und Burnout als Folge von nicht gelebten Idealen und Zielen, von eingeengter Kreativität und Fremdbestimmung, von Aufgabe der Innenwelt zugunsten der Außendarstellung.

Wie das „wichtige Organ“ Seele gepflegt werden kann und sollte, darum geht es  im letzten Teil des Buches. Und die wichtigste Voraussetzung zur Pflege, wen wird es an dieser Stelle noch wundern, lautet: Zeit. Zeit für Lange-Weile, für Kunst, für Träume und Symbole. Für Leben in der Gegenwart, mit Bezug zu Vergangenheit und Zukunft, Zeit für Muße.

Die Definition der Autorin von Muße hat mir besonders gut gefallen:

In der Muße verfügt man über die eigene Zeit, und dennoch ist es nicht einfach Freizeit. Muße bedeutet, frei zu sein zum Denken, frei zu sein, um sich philosophischen Fragen zu stellen, sich der Schönheit und den Dingen zuzuwenden, die unveränderlich sind.

Wie schön wäre es doch, wenn dieser Ansatz, den der deutsche Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa als Gedanke Adam Smith, aber auch Ludwig Erhard zuschreibt, gelten würde:

Die Effizienz der Marktwirtschaft sollte übrigens die Menschen ökonomisch entlasten und es ihnen ermöglichen, sich anderen Gebieten des Lebens, der Kunst, der Philosophie, der Muße zuzuwenden.

Im letzten Teil des Buches in den Kapiteln: „Was dennoch gesund hält“ und „Was die Seele nährt“ zeigt Verena Kast Wege aus  den Lebensfallen, die sie bis hierhin so treffend, deutlich und nachvollziehbar beschrieben hat.

Ich kann Seele braucht Zeit sehr empfehlen. Es lohnt sich mit Sicherheit, sich die Zeit zu nehmen, dieses Buch zu lesen, um der Seele mal wieder den Platz in unserem Leben einzuräumen, der ihr gebührt.

Ich danke dem Kreuz Verlag für das Rezensionsexemplar.

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