Ihr „schwänzt“ den Gottesdienst? Dafür gibt es jetzt Churchix!

 

„Katholiken denken über Sex ganz anders als die Kirche“ titelt die Saarbrücker Zeitung in ihrer heutigen Ausgabe und obwohl ich mir keine wirklich spannenden Erkenntnisse erwarte, und der Titel mir nur ein ironisches „Ach“ entlockt, beginne ich  zu lesen. Sex zieht eben doch ;-).

Und gleich beim ersten Abschnitt werde ich hellwach:

Dass sich die katholische Kirche entgegen aller Erwartungen auch modern und fortschrittlich präsentieren kann, zeigt sie dieser Tage mit der Verwendung des Programms „Churchix“. Mit dieser Software kann man per Computer Gesichter erkennen. Das Programm wird in Kirchen eingesetzt, um zu registrieren, wer am Gottesdienst teilnimmt und wer schwänzt. Praktisch.

Überwachung der Kirchgänger ist also „modern und fortschrittlich“. Registrieren wer teilnimmt und wer schwänzt?

Der restliche Artikel hat mich dann ehrlich gesagt nicht mehr interessiert. So fassungslos war ich auf der einen Seite, dass es ein Überwachungsprogramm für Kirchgänger gibt und dass dieser Umstand der Saarbrücker Zeitung nicht nur keinen einzelnen Artikel wert ist, sondern als netter Einstieg zu einen thematisch vollkommen anders gelagerten Thema dient.

Kirche schwänzen und dabei erwischt werden. Dafür waren in meiner Teenagerzeit die anderen Kirchgänger, gerne Frauen im Alter meiner Großmutter, zuständig, die ihr zuverlässig petzten, wenn ich statt ins Hochamt zu gehen, mich im Dorf rumgedrückt habe. Lange vorbei, aber an das schlechte Gefühl erinnere ich mich immer noch.

Und jetzt ist das in Krichenkreisen der „Dernier Cri“? Zumindest suggeriert das der SZ Artikel.

Und je mehr ich im Netz suche, um so heftiger schüttle ich den Kopf. Da wird der Face-Six-CEO Moshe Greenshpan wie folgt zitiert:

“Reactions [to Churchix] are simply overwhelming. Churches we spoke with are saying it’s like a dream come through. Imagine the effort required to manually track the attendance of 100 or 500 members.“

Also wirklich, ein Traum wird wahr. Der Pfarrer kann sich nach der Messe auswerten lassen, welche Schafe da waren.

Für mich ein Ding der Unmöglichkeit und für Dr. Sebastian Ertel vom Blog Datenschutz Notizen aber kein Szenario, das in D so schnell zu erwarten ist, wie er im Blogpost: Datenschutz in der Pfarrei – Teil 3: Gesichtserkennung im Gotteshaus ausführt.

Nach meinem Kinderglauben sieht der liebe Gott alles, und das darf auch so sein, aber seinem Bodenpersonal soll er bitte nicht so einen Gesichtserkennungswahnsinn bescheren, sonst laufen auch noch die wenigen Treuen weg.
Und hier die Diskussion dazu auf FB mit weiterführenden Links

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4 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Geht’s noch? Dem Journalisten muss ja jegliche kritische Distanz abhanden gekommen sein? Wie kann man Überwachung als modern und fortschrittlich feiern? Und wieso wollen Kirchen ihre Mitglieder überwachen? Wird dann ein Schild angebracht, dass die Kirche per Video überwacht wird?

    Bei unserer Dorfkirche brauchen wir so etwas übrigens nicht. Da funktioniert das andersherum: Man merkt sich einfach die 10 bis 15, die teilgenommen haben …

  2. Naja, „modern“ und „fortschrittlich“ an sich sind ja neutrale Begriffe. Also weder positiv noch negativ. Und wenn es solche Software gibt und Kirchen diese nutzen, dann ist das durchaus modern und fortschrittlich. Ob das sinnvoll oder positiv ist, steht natürlich auf einem ganz anderen Blatt – da bin ich ganz deiner Meinung. Ich denke auch, dass solche Software, wenn überhaupt, von „Glaubensgemeinschaften“ eingesetzt wird, die man hierzulande klar als Sekte einstufen würde.

    • stimmt. Die Begriffe sind erst mal neutral. Aber für mein Empfinden hat die Autorin sie positiv besetzt.

      Und so wie es aussieht, wird die Software auch von katholischen Kirchen (allerdings nicht in D) eingesetzt. Sonst hätte die Autorin, die für den katholischen Nachrichtendienst arbeitet, sie wohl kaum in einem Artikel über die katholische Kirche zitiert.

  3. Danke Andrea fuer Ihren spannenden Artikel. Sollten dem ‚Bodenpersonal’ (toller Begriff!) nicht eher die leeren Bänke Sorgen machen? Die Frage, warum kommen die Menschen nicht (mehr) kann man nicht mit Überwachungsmaßnahmen beantworten.

    Zu den Kunden von Face Six gehören laut Spiegel Online
    Der Rüstungskonzern Lockheed Martin, das australische Verteidigungsministerium ], Volkswagen, und unser deutsches Bundeskriminalamt. . http://www.spiegel.de/netzwelt/gadgets/face-six-gesichtserkennung-in-kirchen-a-1039438.html.

    Und da wird es ernst: was mich weit mehr besorgt ist, dass diese immer perfekter werdenden Bildererkennungs-Technologien ja nicht nur den Kirchen, sondern vor allem dem Staat zur Verfügung stehen, weitgehend ohne wirksame Kontrollen. Bereits 1998 Jahren hatte Hollywood filmisch dargestellt, wie das technisch Machbare benutzt werden kann, um totale Kontrolle auszuüben https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Staatsfeind_Nr._1 „…. ein wunderbar gestylter und spannender Thriller, der das Thema der medialen Überwachung ernst nimmt und auf seine Gefahren abklopft …’.

    ‘In einem vollendeten Überwachungsstaat besitzt dieser zu jedem Bürger zu jedem Zeitpunkt alle Informationen über dessen Aufenthaltsort, Handlungen und über den Inhalt und die Adressaten von dessen Kommunikation mit Anderen…’ so wird in einem sehr guten Wikipedia –Artikel, der ‘vollendete Überwachungsstaat‘ definiert (https://de.wikipedia.org/wiki/Überwachungsstaat). Zwar sollte uns in Deutschland das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vor so was schützen, aber wie viel das wirklich wert ist, zeigen meiner Meinung nach die Entscheidungen der Regierungen in Europa zur Vorrats-Datenspeicherung oder die ungestrafte bzw. geduldete grenzenlose Überwachung der Kommunikation durch die NSA. In einem spannenden Artikel ‚Big Brother ist wirklich Brite’ hat bereits 2007 Rainer Luyken auf ‚Zeit –Online’ dargestellt, dass das Land der Magna-Carta Bürgerrechte 4.7 Millionen Kameras auf seine Bürger richtet : http://www.zeit.de/2007/03/Big-Brother . Wahrscheinlich sind es in der Bundesrepublik von heute nicht viel weniger Kameras.

    Ernst Benda, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts sagte einmal „Einen Staat, der mit der Erklärung, er wolle Straftaten verhindern, seine Bürger ständig überwacht, kann man als Polizeistaat bezeichnen.“ Da man aber – anders als aus einer Kirche – nun mal nicht aus einem Überwachungsstaat austreten kann, müssen wir wohl sein ‚Bodenpersonal’ in Parlamenten und Justiz immer wieder an unsere Grundrechte erinnern.

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