Von der afrikanischen Plantage direkt auf den europäischen Müll

Viele Menschen der so genannten ersten Welt haben ein gestörtes Verhältnis zu ihren Lebensmittel. Wie liesse es sich sonst erklären, dass (vielen von) uns Essen nicht billig genug sein kann und dennoch glauben wir, zuviel dafür zu bezahlen. Angeblich enthalten unsere Nahrungsmittel ja kaum noch Nährstoffe und sind darüber hinaus vollkommen ungesund. Wie Lebensmittel produziert werden, wissen wir schon lange nicht mehr, woher unsere Lebensmittel kommen und in welchen Monaten sie reifen auch nicht.

Dass man mit Dingen die billig und nicht wertig sind, nachlässig umgeht, wundert nicht. Die Hemmschwelle, solche Sachen wegzuwerfen, ist extrem niedrig.

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Welche Dimensionen das Wegwerfen von Lebensmittel mittlerweile angenommen hat, das zeigt die Reportage: „Frisch auf den Müll: Die globale Lebensmittelverschwendung“ von Valentin Thurn die am 20.10.2010 in der ARD gezeigt wurde. Ich kann nur Jedem raten, sich diesen aufrüttelnden Film anzuschauen. Eigentlich müsste er verpflichtend in allen Schulen gezeigt werden.

Mehr als die Hälfte unserer Lebensmittel landet im Müll. Mit dieser aufrüttelnden Aussage beginnt der Film. Und er endet nicht weniger drastisch: Die Lebensmittel die wir in Europa und Nord-Amerika wegwerfen, würden ausreichen, um die Hungernden der Welt 3 x zu ernähren. Unfassbar, oder?

Wie es dazu kommen kann, dazu werden im Film viele Aspekte aufgezeigt. Vom Verbraucher, der versucht für jede Stimmungs- und Lebenslage mit Nahrungsmittel versorgt zu sein und nur die absolut makellosen Exemplare aus prall gefüllten Theken mit überbordender Auswahl einkauft (100 Sorten Joghurt), der Industrie die mit der x. (unnötigen) Version zum Thema kommt bis zum Handel der nur eben diese makellosen Waren anbietet und sie beim klitzekleinsten Makel schon vor Ablauf des MHD (Mindesthaltbarkeitsdatum) aus dem Regal nimmt und wegwirft.

Wie sagt Michael Gerling vom Bundesverband des deutschen Lebensmittelhandels so schön: Früher musste man Hungrige satt machen, heute muss man Satte hungrig machen.

In Deutschland wird statistisch nicht erfasst, wie viele Lebensmittel weggeworfen werden. Felicitas Schneider vom Institut für Abfallwirtschaft aus Österreich, hat für ihr Land dazu geforscht.

  • 45 kg an genießbaren Lebensmittel pro Tag und Supermarkt werden entsorgt
  • 10 kg pro Haushalt und Jahr
  • 6 – 12% des Restmülls sind Lebensmittel
  • weitere 3 – 6% Speisereste
  • dies summiert sich auf bis zu 400€ pro Haushalt

Hochgerechnet auf Deutschland bedeutet dies, dass wir Lebensmittel im Wert von 20 Mrd. € wegwerfen. Dies entspricht ungefähr dem Umsatz von Aldi.

Würden alle Bäcker das Brot, dass sie nicht verkaufen können (zwischen 10 und 20% der Tagesproduktion) durch Verbrennung in Energie umwandeln, liesse sich ein Atomkraftwerk einsparen, rechnet Roland Schüren vor, der die Brotverbrennung in seinem Betrieb bereits einsetzt. Ich halte Brot verbrennen zwar auch für einen großen Frevel, aber besser als wegwerfen ist es.

Bianca Güth hat für die SWR Ländersache ebenfalls eine Beitrag zu weggeworfenem Brot gemacht, der einen Abend später ausgestrahlt wurde. Ebenfalls sehr sehenswert ist: Brotverschwendung am Pranger . Durch meinen Blogbeitrag: Brot zum wegschmeißen, in dem ich dieses Thema schon mal aufgegriffen hatte, aufmerksam geworden, bekam ich eine Anfrage vom SWR ob ich dazu Stellung beziehen würde, was ich gerne getan habe, da mir der Umgang von Lebensmitteln schon von Berufs wegen sehr am Herzen liegt und wir mit allen unseren Mitarbeitern tagtäglich dafür sorgen, Lebensmittel in einer guten Qualität herzustellen. Ich bin daher in dem Beitrag auf in einem kurzen Interview zu sehen und bedanke mich an dieser Stelle bei Frau Güth und ihrem Team für einen sehr spannenden und interessanten Dreh. Ganz erschreckend fand ich die Stellungnahme des REWE Managers.

Ein Patentrezept zur Lösung dieses Problems gibt es nicht. Schön fand ich im Beitrag des SWR, dass anscheinend durch Verbraucheraufklärung noch sehr vieles erreicht werden kann. Zwar erwarten die Kunden anscheinend wirklich auch kurz vor Ladenschluss noch volle Brotregale, aber nachgedacht was dies bedeutet haben sie noch nicht. Mit entsprechender Aufklärungsarbeit liesse sich da bestimmt Verständnis für ein reduziertes Sortiment kurz vor Geschäftsschluss sorgen.

Die ARD kommt in ihrem Beitrag zu dem Schluss, dass

  • bewusste Verbraucher
  • verantwortungsbewusste Händler und Produzenten
  • und eine Politik die wegwerfen bestraft

zur Lösung des Problems beitragen können.

Wie man die Verschwendung eindämmen könnte, dafür gibt es viele Tipps bei Taste the Waste (via Krisenbegleiter)

Nachtrag: Über Twitter wurde ich von @Kablass darauf hingewiesen, dass die Dokumentation am Sonntag, 25.10.2010 um 15.25 Uhr in der ARD wiederholt wird.

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17 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ich fand die Stellungnahme des REWE-Mannes auch erschreckend. Viel erschreckender ist aber, daß er offenbar recht hat. Oder?

  2. @Jörg Womit hat er Recht? Dass es gefordert wird? Dass es auf den Markt abstrahlt?

    Mit ein bißchen Verbraucheraufklärung und einem Ladenbaukonzept mit richtiger Ausleuchtung müsste diesem Problem doch beizukommen sein. Ich bin abends immer dankbar wenn noch Brot oder Brötchen da sind. Erwarten würde ich es nicht. Denn jeder, der abends lange arbeiten muss, hatte ja morgens schon die Gelegenheit Brot zu kaufen, die meisten Bäckereien öffnen um 6.

  3. Dass in Deutschland jährlich 15 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden, ist so eine unglaublich erschütternde Zahl, die mich, wie viele weitere Infos in Deinem Artikel, erst mal sehr betroffen machen. Wir sind ja alle große Meister im Verdrängen (und es ist auch wichtig, dass wir das können). Aber andererseits müssen wir uns so etwas auch mal klar machen und versuchen zu überlegen, wie wir alle selbst unser Scherflein dazu beitragen können, dass so etwas zumindest nicht mehr in den Größenordnungen passiert.

    Ich danke Dir für den Bericht.

  4. Ich glaube ja kaum, dass die Verbraucher das wirklich mündlich gefordert haben, noch bis 20 Uhr volle Brottheken zu haben. Der REWE Manager war ein typischer Manager und damit möchte ich jetzt nur denen auf den Schlips treten, die es betrifft: Einziges Ziel ist die Gewinnmaximierung, von Nachhaltigkeit keine Spur.
    Dass Lebensmittel in diesem Ausmaß vernichtet werden wusste ich bisher auch nicht, daher danke auch ich Dir für den Bericht.
    Neben der moralischen Seite sollte man auch bedenken, wer das ganze bezahlt: a) die (kleinen) Produzenten, die immer weniger verdienen und b) die Verbraucher. Ich denke da vor allem an Leute, die weniger gut bemittelt sind.

    Was kann jeder von uns tun: Weniger beim Discounter einkaufen, wieder mehr zum Bäcker um die Ecke, zum Metzger oder zu Direktvermarktern gehen. Dort kenne ich auch fast leere Theken und fand das bisher nie schlimm. Zuhause nur so viel zubereiten/kochen, wie wirklich benötigt wird.

  5. Ich gebe Michael Gerling 100 Recht. Wir leben in einer Gesellschaft die übersättigt ist mit allem ( jedenfalls in einige Regionen ) Viele haben keine richtigen Lebensziele mehr, und wollen nur eins Unterhaltung. ( siehe TV Programm )

    Man freut sich nicht mehr über die kleinen Dinge, es gibt kaum noch Miteinander, Träume.

  6. wir sollten also weniger produzieren. weniger im regal haben. weniger importieren…. stärken nicht unsere importe auch die exportierenden länder? gut. vielleicht gerade die falsche dort. firmen, politiker, …
    Eine lösung für arme und hungernde ist aber immer noch nicht, unseren überfluss an lebensmitteln zu spenden. Die thematik ist eher etwas für uns und unsere aufgabe herauszufinden was genug ist und genau darauf zuzusteuern.

  7. @Stefan hab ich im Blogpost: Brot zum wegwerfen geschildert, ein Knirps der vor einem vollen Brotregal über die geringe Auswahl mosert und noch schlimmer, ein Vater der dazu nichts sagt. Ich kenne viele die sich darüber keine Gedanken machen und auch Abends noch viel Auswahl erwarten. Natürlich gibt es auch einige die sich dessen bewusst sind.
    Die Zeche zahlt vor allem die 3. Welt denen wir viele Nahrungsmittel wegessen oder deren Land dazu genutzt wird Blumen für Europa anzubauen statt Nahrung für die Bevölkerung.
    Und natürlich zahlen auch wir hier drauf, aber das ist doch nicht annähernd so schlimm wie diese konsequente Vernichtung von Nahrungsmitteln.

    @gog JA! zu weniger Konsum und nein, dass durch unseren Import die Länder dort gestützt werden. Das wird von Prof Joachim von Braun, vom Zentrum für Entwicklungsforschung in Bonn recht gut erklärt (so ab Minute 40)

    Wir produzieren heute schon mehr als nachwächst und verhalten uns so, als ob wir noch 2 Erden im Rucksack hätten. Der Zeitpunkt an dem wir das was nachwächst verbraucht haben, verschiebt sich jedes Jahr dramatisch nach vorne.

    Wir müssen lernen umzudenken. Blogpost dazu: http://bachmichels.wordpress.com/2010/01/27/projekt-nachhaltigkeit/

    Gerne empfehle ich in diesem Zusammenhang da Unternehmen von @manomama das ökologisch und sozial produziert. Etwas Durchdachteres und Nachhaltigeres ist mir bisher noch nicht begegnet:
    http://www.manomama.de

  8. @Markus Genau, jeder sollte erst mal vor seiner Tür kehren und sich das Ganze bewusst machen und suchen wo er im Kleinen schon mal was verbessern kann.

    @Happy Buddha das stimmt leider für viele. Wie gut, dass es doch immer noch engagierte Menschen gibt die sich und ihre Umwelt (auf welche Art Konsum auch immer) zumüllen.

  9. Wie leben doch einfach in einer Überfluss und Wegwerfgesellschaft. Wir arbeiten schon lange nicht mehr nur, um uns zu ernähren, sondern für Statussymbole.
    Wir können nicht soviel essen wie wir kaufen können. Also kaufen wir mehr als wir essen können und wollen und schmeißen das überflüssige Zeug weg.
    Alles nur Ausdruck einer oberflächlichen Gesellschaft. Aber werden wir es ändern können?

  10. Vielen Dank für den Artikel. Da sind doch einige Dinge beleuchtet, die mir in dieser Form auch neu sind. Natürlich ist einer der Hebel der mündige Verbraucher und dazu gehört eben auch das notwendige Wissen. Da achte ich auch auf regionale und saisonale Ware und kaufe möglichst auch nur so viel, wie ich nachher auch esse. Ich rege mich gerne auf, wenn z.B. im Januar „BIO“ Erdbeeren aus Marokko angeboten werden. Mir ist es auch schon länger bewusst, was mit den ganzen schönen Lebensmitteln geschieht, die unverkauft am Ende des Tages noch in den Regalen liegen.

    Die schiere Masse an Lebensmitteln, die aber gar nicht den Weg in die Regale finden, war mir – zumindest vom Ausmaß – neu. Vielleicht bin ich da immer noch so naiv gewesen, dass z.B. „unförmige“ Kartoffeln schon auch ihren Weg als Kartoffelprodukt finden und eben nicht einfach auf dem Acker bleiben. An manchen Punkten scheint es mir schon etwas kurz gesprungen einfach die Karte „der Verbraucher will es so“ zu spielen.

    Es gibt übrigens einen kleinen Trick, wie man sich gegen die die Überfülle im eigenen Einkaufswagen besser wehren kann: Nach Möglichkeit dann einkaufen, wenn man gerade satt ist. Ein hungriger Bauch ist viel zu leicht zu verführen ;-).

  11. pfft. ihr pseudobetroffenen. das ist eben kapitalismus. die meisten von euch profitieren vom kapitalismus. solche auswüchse sind systemimmanent.

    „das lässt sich ändern, man müsste was machen, man sollte das in der schule zeigen“ höre ich euch widersprechen. ändert aber nichts. beweis: die geschichte des kapitalismus bis heute.

    also aufhören mit der betroffenheitsheuchelei. entweder den kapitalismus, von dem man profitiert, umarmen. oder ihn abschaffen. alles andere ist schwachsinn.

  12. Ach ja, Herr Kommunist, darauf hätte ich ja auch kommen können. Wenn man ein totes Pferd reitet, ist es eben an der Zeit abzusteigen. Soweit in Ordnung. Aber dann einen Gaul zu satteln, der dazu schon streng nach Verwesung riecht, halte ich persönlich für keine gute Idee. 😉

  13. @partyflirt nur nicht aufgeben. Darüber reden und selbst anfangen. Dass sich etwas ändern muss, ist nicht mehr zu übersehen.

    @Quintus regional und saisonal zu kaufen ist mit Sicherheit einer der größten Hebel die du ansetzten kannst. Dass unförmige Kartoffeln nicht in der Industrie verarbeitet werden liegt mit Sicherheit daran, dass es zu viel Abfall gäbe, da die Maschinen, die die Kartoffeln schälen mit kleinen und krumm-buckeligen Kartoffeln nicht viel anfangen können.

    @Manfred Spoo im Prinzip schauen wir doch bei ALLEM was wir konsumieren weg. Wieviele Produkte sind denn heute noch fair für Mensch und Umwelt hergestellt. Ja, dicke Bretter bohren ist angesagt.

    @Kommunist Da hat Quintus meine Antwort schon vorweggenommen. Nur noch eins, urteilen ohne zu kennen ist bescheuert. Anonym zu kommentieren noch bescheuerter…

  14. Ein Thema, dass mich auch schon länger umtreibt. Sehr schön, dass es endlich auf in Deutschland aktuell wird! Auf meinem Blog Die moderne Speisekammer kann man mitverfolgen, wie ich versuche keine Lebensmittel mehr wegzuwerfen und verantwortungsbewusst einzukaufen. Ich werde besser – aber das eine oder andere Ränftl Brot landet leider doch in der Tonne. Aber was kann man tun, damit die Supermärkte weniger wegwerfen? Fürs Container bin ich übrigens einfach schon zu alt…

  15. Danke für den Hinweis auf ihr Blog @die Moderne Speisekammer. Hab mal kurz vorbeigeschaut und finde es ganz großartig. Vielen Dank daher für den Tipp hier an dieser Stelle. Kann nur jedem Leser empfehlen mal vorbeizusurfen.

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